Linke-Europaliste: Durchmarsch für die Nummer 4

Die vom Parteivorstand vorgeschlagenen ersten vier Kandidat*innen zur Europawahl wurden am Wochenende bestätigt.

Der Bundesausschuss (BA) der Linken ist ein sehr spezielles Gremium. Einen solchen Ausschuss gibt es nur bei der Linkspartei, laut Bundessatzung hat er Konsultativ-, Kontroll- und Initiativfunktion gegenüber dem Parteivorstand. Vertreter*innen der Landesverbände und der Zusammenschlüsse in der Partei gehören dem BA an, Abgesandte von Bundestagsfraktion, der Linke-Delegation im EU-Parlament und der Europäischen Linkspartei nehmen mit beratender Stimme teil, getagt wird vier Mal im Jahr. Soweit die Formalien.

Normalerweise gehen BA-Sitzungen geräuschlos und eher unspektakulär über die Bühne. Das ändert sich jedoch schlagartig, wenn EU-Wahlen vor der Tür stehen. Denn laut Parteisatzung ist es ebenfalls Aufgabe des Bundesausschusses, einen Personalvorschlag zur Aufstellung der Bundesliste für die Wahlen zum Europaparlament zu unterbreiten, über den dann im Rahmen eines Parteitags entschieden wird. Die nächste Abstimmung zur EU-Volksvertretung wird in Deutschland am 9. Juni kommenden Jahres stattfinden; der Europaparteitag der Linken und die sogenannte Vertreter*innenversammlung werden das Programm und die Liste der Kandidat*innen auf dem Europaparteitag am 17. bis 19. November in Augsburg beschließen.

Etwa zwei Dutzend Bewerbungen lagen dem Bundesausschuss vor, der am Wochenende am Berliner Franz-Mehring-Platz, wo auch »nd« seinen Redaktionssitz hat, zusammenkam, um hinter verschlossenen Türen den Wahlvorschlag zu beschließen. Bereits im Juni hatte der BA Kriterien für die Bewerber*innen beschlossen. Ausdrücklich ist festgehalten, dass Die Linke mit einer offenen Liste zu den Europawahlen antritt, jedoch müssten die Kandidat*innen »für die Politik der Partei in der Öffentlichkeit einstehen«. Gefordert werden zudem politische und fachliche Kompetenz, Kommunikationsfähigkeiten sowie Basisverbundenheit und »moralische Integrität«. Zumindest bei den ersten zehn Listenplätzen, die in Einzelwahl bestimmt werden, sollten »sowohl die Interessen einer guten Gesamtvertretung in Europa als auch die Interessen der Landesverbände berücksichtigt werden«. »Ich denke, dass der Bundesausschuss einen guten Vorschlag unterbreiten wird. Wir haben ja viele sehr gute Leute, die ihre Kandidatur erklärt haben«, hatte der Ko-Parteivorsitzende Martin Schirdewan gegenüber »nd« und der linken Europaplattform die-zukunft.eu erklärt.

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Vor der BA-Tagung hatte insbesondere das vom Parteivorstand vorgeschlagene Spitzenquartett – neben der Europaabgeordneter Özlem Demirel und Martin Schirdewan gehören ihm auch die parteilose Menschenrechtsaktivistin Carola Rackete sowie der Sozialarbeiter und Arzt Gerhard Trabert an – in einigen Landesverbänden und Parteikreisen für Unmut gesorgt. Obgleich der Parteivorstand selbstverständlich das Recht auf einen Wahlvorschlag hat und dies in der Vergangenheit auch so praktiziert wurde, wurden fehlende Transparenz und Abstimmung mit den Gremien und Landesverbänden kritisiert. Zudem seien von einigen Kandidat*innen die Fristen zur Einreichung ihrer Bewerbungen nicht eingehalten worden.

Auch die Repräsentanz von Bewerber*innen aus Ostdeutschland hatte zu Diskussionen geführt. Martin Schirdewan – nicht nur Ko-Vorsitzender der Linkspartei, sondern zugleich auch der Fraktion The Left im Europaparlament – hat auch darauf eine salomonische Antwort: »Ich bin sicher, dass der Bundesausschuss und der Parteitag einen klugen Vorschlag unterbreiten werden, der Ost und West repräsentiert«, sagte er gegenüber »nd« und die-zukunft.eu.

Vielleicht auch wegen dieser Debatten wurde das Spitzenquartett nicht mit der erwarteten sehr großen Zustimmung gewählt, sondern mit einer »Dreiviertelmehrheit« (Schirdewan: 72,6, Rackete 72,1, Demirel 77,4 Prozent). Einen Durchmarsch legte dagegen der »Armen-Arzt« Gerhard Trabert hin: Aus dem Stand erzielte er 88,7 Prozent. »Ein bisschen überrascht, aber natürlich auch erfreut war ich schon über die hohe Zustimmung«, sagt Trabert gegenüber »nd« und die-zukunft.eu. »Aber die Resonanz in den Landesverbänden und auf verschiedenen Veranstaltungen zeigt mir, dass wir als Linke die zentralen sozialen Probleme ansprechen und dafür auch Lösungen aufzeigen.«

Besonders umkämpft (fünf Bewerberinnen) war jedoch Listenplatz 5 – realistischerweise der letzte erfolgversprechende. Bei Europawahlen gilt die Faustformel: ein Prozent der Stimmen – ein Sitz im EU-Parlament. Bei der letzten Wahl 2019 hatte Die Linke 5,5 Prozent geholt und war mit fünf Abgeordneten nach Brüssel gezogen. Letztlich konnte sich für Platz 5 Daphne Weber, die unter anderem im Parteivorstand sitzt, gegen die Regionalpolitikerin Frederike-Sophie Gronde-Brunner in einer Stichwahl durchsetzen (53,4 gegen 39,65 Prozent). »Ich freue mich sehr über das Vertrauen der Genossinnen und Genossen«, sagte Weber nach ihrer Wahl zu »nd« und die-zukunft.eu. »Wir werden eine offensive Linke sein, die sich klar mit den Bossen und Krisenprofiteuren anlegt, für ein Europa, in dem die Menschen den Ton angeben.«

Das letzte Wort wird die Versammlung der Vertreter*innen auf dem Europaparteitag haben. Dort gab es in der Vergangenheit immer wieder Überraschungen. Aber leider auch Schlammschlachten.

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